Es gibt sie, die robusten Seelen, denen Belastungen scheinbar nichts anhaben können. Doch der aktuellen Statistik zufolge werden es immer weniger: Schon jede dritte Frühpensionierung und jeder 16. Krankenstandstag in Österreich gehen auf das Konto psychischer Erkrankungen. Im Vorjahr ließen sich mehr als 65.000 Männer und Frauen wegen Alkoholismus, Depressionen oder Burn-out krankschreiben. 37 Tage lang fielen diese Arbeitnehmer im Durchschnitt aus, mehr als dreimal so lang wie Menschen, die wegen anderer Leiden in Krankenstand gingen. Auch die Zahl der Spitalsaufenthalte wegen psychischer Störungen steigt deutlich an. „Allein die Alkoholsucht hatte im Jahr 2008 knapp 26.000 stationäre Aufenthalte zur Folge“, schlug der Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Chef der Spitalsärzte Dr. Harald Mayer kürzlich Alarm.
Halten wir immer weniger aus?
„Erstens gibt es psychische Erkrankungen, bei denen es weder ums Aushalten geht noch um Fragen der Prävention. Dazu zählt die Depression, die ja zu einem Gutteil genetisch bedingt ist, da kann man vorbeugend nicht viel tun“, sagt Univ. Prof. Dr. Christoph Stuppäck, Leiter der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie I an der Christian-Doppler-Klinik in Salzburg. Und zweitens? „Es gibt keine Norm dafür, welche und wie viele Belastungen die Seele aushalten muss“, sagt Dr. Elisabeth Oedl-Kletter, Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin sowie Vorstandsmitglied des Kuratoriums für psychische Gesundheit in Salzburg.
Stärken, glätten, flicken
Dem einen macht es zu schaffen, im Job immer wieder von Kündigung bedroht zu sein, dem anderem setzt das schlechte Arbeitsklima zu. Der eine verkraftet es nicht, ständig von oberster Stelle kritisiert zu werden, der andere zerbricht an zuviel Druck und Stress. Was und wie viel man aushält, ist nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch von Zeit zu Zeit verschieden: „Hat man etwa eine Kündigung anno dazumal locker weggesteckt, so kann einem der Jobverlust fünf Jahre später schwer auf die Seele drücken“, gibt Oedl-Kletter ein Beispiel. Da hilft es nichts, mit der momentanen Seelenschwäche zu hadern. Schon gar nicht hilft es, sich mit denen zu messen, die mehr oder scheinbar alles aushalten und nie den Mut verlieren. Im Gegenteil. „Im Vergleich an sich liegt die Wurzel des Übels. Damit setzt man sich unnötig unter Druck und schwächt seine psychischen Kräfte erst recht.“
Was hingegen hilft: „Je mehr man sich um seine Seele kümmert, desto mehr hält man aus“, sagt Oedl-Kletter. Denn eines steht fest: „Die Belastungen der modernen Welt stellen die Seele heute vor größere Herausforderungen, als das in früheren Zeiten der Fall war. Und man kann einiges tun, um sich vor den negativen Folgen dieser Belastungen zu schützen“, sagt Stuppäck. Den Schutzschirm für die Seele stärken, Dellen glätten, Risse flicken – das folgende Sieben-Punkte-Programm kann jedem helfen. Oedl-Kletter: „Manche brauchen vielleicht etwas länger, bis sie einen starken Schutzschirm haben, oder aber sie brauchen professionelle Unterstützung dabei.“
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Das Punkte-Programm für die Seele
1. Nährende Beziehungen pflegen
Die Seele braucht Auszeiten mit sich allein, aber sie lebt nicht gern in Einzelhaft. Wer nur virtuelle Beziehungen mit Facebook-Freunden oder Fernseh-Helden führt, tut ihr nichts Gutes. Sie braucht den direkten Kontakt mit Menschen, die uns anregen, bestätigen oder in irgendeiner anderen Weise nützlich sind. Die Freude darauf, diese Menschen zu treffen, ist Nahrung für die Seele, damit polstert sie ihren Schutzschirm auf.
In guten Zeiten gemeinsam zu feiern und sich in wohlwollender Gesellschaft über Erfolge zu freuen, stärkt die Psyche ebenso wie das Gefühl, in schlechten Zeiten Probleme teilen zu können. Ob im Freundeskreis, in der Familie oder in einer Selbsthilfegruppe: Wer sich eingebunden fühlt, wird mit Belastungen besser fertig.
2. Sich selbst ein Freund sein
Sich selbst die Latte immer höher legen, sich immer selbst die Schuld geben, wenn etwas nicht funktioniert hat, sich selber beschimpfen, wenn etwas schiefgegangen ist – all das kratzt am seelischen Schutzschirm. Was die Psyche hingegen stärkt, sind freundliche innere Zwiegespräche und ein wohlwollender Umgang mit sich selbst. Und: Eigenlob, das ganz und gar nicht stinkt, sondern wichtig für die starke Seele ist.
Zum freundschaftlichen Umgang mit sich selbst gehören auch die nur scheinbar banalen Dinge des Lebens: für ausreichend Schlaf sorgen, für regelmäßiges Essen, das einem schmeckt und gut tut, und für ausreichend Ruhe.
3. In Bewegung bleiben
Äußerliche und innerliche Erstarrung schwächt die Seele. Körperliche Bewegung – ganz dem eigenen Bedürfnis entsprechend – gehört genauso zu den psychischen Präventionsmaßnahmen wie geistige Anregung. Ob man eine Fremdsprache lernt, mal wieder ins Theater geht oder ein neues Kochrezept ausprobiert: Neue Impulse regen die seelischen Abwehrkräfte an. Doch so wie die geistige Anregung für innere Bewegung sorgt, die immer wieder Ansporn für Entwicklung ist, braucht es auch Rituale, die Sicherheit geben. Aus der Balance zwischen Neuem und Gewohntem schöpft die Seele Kraft.
4. Für ausreichend Wärme sorgen
Wenn eine Mutter ihr Kind nicht so anzieht, wie es die Witterung verlangt, so wirft man ihr vor, eine Rabenmutter zu sein. Doch Modetorheiten verleiten viele Menschen dazu, sich selbst eine Rabenmutter zu sein: Bauchfrei bei Minusgraden – damit schadet man nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele. Denn auch die Psyche braucht Wärme, menschliche und physikalische. Jeder kennt das: Wenn man traurig ist, großen Stressbelastungen ausgesetzt ist oder schlecht geschlafen hat, hat man ein größeres Bedürfnis nach warmen Socken. Wenn man sich aber so wohl fühlt, dass einem im wahrsten Sinn des Wortes warm ums Herz ist, friert man nicht so leicht. Wärmende Zuwendung in Zeiten, in denen man nichts hat, was das Herz wärmt, stärkt die Seele. Das kann auch der wohlig heiße Duschstrahl sein, den man vor einem anstrengenden Tag auf den Nacken prasseln lässt.
5. Sich Ausdrucksmöglichkeiten schaffen
Stets nur Anforderungen erfüllen, die von außen an einen herangetragen werden – auch das nagt an der Seele. Die Psyche braucht Ausdrucksmöglichkeiten ohne Vorgaben von außen. Ob Tanzen, Schreiben, Singen oder Malen, die Wohnung nach eigenem Geschmack gestalten oder ein lachendes Gesicht aufs Butterbrot schnitzen: Das sind nur einige der Möglichkeiten, um sich mitzuteilen und um das Gefühl zu bekommen, Herr im eigenen Haus und nicht nur fremdbestimmt zu sein. Wer diesen Ausdrucksmöglichkeiten vor Publikum nachgeht, stärkt seine Seele gleich mehrfach, indem er sich Applaus, Anerkennung und das Gefühl, in eine Gruppe eingebunden zu sein, holt.
6. Den Blick für das Schöne schärfen
Ist das Glas halbvoll oder halbleer? Wer stets nach dem berühmten Haar in der Suppe sucht, tut seiner Seele nichts Gutes. Man kann sich aber selbst dafür entscheiden, ob man entweder auf die Haben- oder Sollseite des Lebens achtet, ob man sich am Ende des Tages auf die positiven Bilanzen oder auf die Defizite besinnt. Menschen, die aufgrund von schlechten Erfahrungen oder auch aufgrund von Prägungen in der Kindheit dazu neigen, mit kritischem Blick durch die Welt zu gehen, können lernen, den Blick fürs Schöne zu schärfen. Wer eine Zeit lang jeden Tag aufschreibt, was ihm gut gelungen oder an Positivem widerfahren ist, geht bald mit anderen Augen durchs Leben und ist besser gegen Belastungen gewappnet.
7. Die eigenen Grenzen wahren
Ständig erreichbar sein, mindestens drei Arbeiten auf einmal erledigen und das in immer höherem Tempo – die eigenen Grenzen werden heute schneller erreicht als in früheren Zeiten. Umso wichtiger ist es für das Seelenheil, diese Grenzen zu wahren und rechtzeitig für Ausgleich zu sorgen. Ein deutlicher Gradmesser für drohende Grenzüberschreitung: Wer nach Dienstschluss länger als eine Viertelstunde über die Arbeit nachdenkt, sollte etwas unternehmen. Die wirkungsvollste Gegenmaßnahme: Ein Leben neben der Arbeit führen und Steckenpferde pflegen.
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